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Gründerinnen im Fokus: Ein Interview mit Dr.'in Viola Riemann

Dr.'in Viola Riemann hat im Rahmen des Projekts #FrauWirktDigital eine Studie erarbeitet, in der sie die Situation von Gründerinnen im Bereich der technologieorientierten Startups beleuchtet und aufzeigt, welche Rahmenbedingungen notwendig sind, um die Situation von Gründerinnen zu verbessern. Im Interview gewährt uns Dr.'in Viola Riemann Einblicke in die aktuelle Situation der Gründungslandschaft in Deutschland, zeigt die Herausforderungen auf, mit denen weibliche Gründerinnen konfrontiert sind und stellt konkrete Maßnahmen vor, die dazu beitragen können, dass Gründerinnen in Deutschland ein besseres Umfeld vorfinden.

Interview mit Dr.in Viola Riemann von #FrauWirktDigital

Frau Riemann, wie steht es um die Gründungs- und Startup-Szene in Deutschland?
Gründungen und speziell Startups mit ihrer technischen Ausrichtung stellen einen wichtigen und innovativen Teil der Wirtschaft dar. Startups ermöglichen nicht nur die Einführung von Innovationen, sondern erhöhen ihrerseits Investitionen in Technologie und Fortschritt. Sie schaffen viele neue Arbeitsplätze und sind attraktiv für Fachkräfte. Im langjährigen Durchschnitt der letzten Jahre liegt der Frauenanteil bei Gründungen bei immerhin 39 Prozent.

Betrachtet man allerdings den Gründerinnenanteil bei Startups, also eher technologieorientierten Gründungen, so liegt dieser laut dem aktuellen Deutschen Startup Monitor 2023 bei nur 20,7 Prozent. Der stärkere Anstieg des Frauenanteils in den letzten drei Jahren von 15,9 Prozent im Jahr 2020 über 17,7 Prozent im Jahr 2021 auf 20,3 Prozent in 2022 hatte zunächst die Hoffnung geweckt, dass bei gleichbleibender Entwicklung immerhin im Jahr 2030 Parität erreicht werden könnte – leider ist diese Hoffnung mit den neuesten Zahlen von 2023 in weite Ferne gerückt.

Gründen Frauen anders als Männer?
Ja, die Motive, die Branchen, die Art und die Finanzierung der Gründungen unterscheiden sich. Für Frauen steht häufig nicht so sehr der finanzielle Erfolg im Vordergrund, sondern die Möglichkeit, selbstbestimmt zu arbeiten und Familie und Beruf zu vereinbaren. Frauen gründen eher im sozialen oder gesellschaftlichen Bereich, Männer häufiger im technischen oder naturwissenschaftlichen Bereich. Außerdem investieren Frauen oft weniger Geld in ihre Gründungsidee, starten also mit weniger Kapital als Männer und gründen häufiger im Nebenerwerb. Das hat viele Gründe: Zum einen eine geringere Risikobereitschaft von Frauen, die oft in der Erziehung und den gesellschaftlichen Erwartungen begründet ist, zum anderen aber auch die Schwierigkeiten, die sie bei der Finanzierung ihrer Gründung haben.

Welche Rolle spielen Investor*innen und wie können sie dazu beitragen, die Gleichberechtigung in der Startup-Branche zu fördern?
Ein sehr große! Die aktuellen Zahlen zur Finanzierung von Startups zeigen, dass es eine Gleichberechtigung bei der Finanzierung noch nicht gibt: Laut Female Founders Monitor 2022 erhielten Frauenteams mit zwei oder mehr Frauen im Durchschnitt 1,1 Mio. Euro Finanzierung. Männerteams erhielten mit 9,7 Mio. Euro mehr als neunmal so viel Geld. Gemischte Teams erhielten durchschnittlich 2,5 Mio. Euro. Es liegt auf der Hand, dass eine erschwerte Finanzierung und weniger Fördergelder die Chancen von weiblichen Startup-Unternehmen verringern und die Gründungsmotivation von Frauen eher senken.
Daher fordern wir in unseren Handlungsempfehlungen, dass Maßnahmen und geeignete Instrumente eingeführt werden, um der strukturellen Benachteiligung von Frauen im Gründungsgeschehen entgegenzuwirken. Dazu gehört unter anderem die Einführung einer Frauenquote in Institutionen und Organisationen (insbesondere des Bundes und der Länder), die für die Vergabe von Fördermitteln zuständig sind. Außerdem sollen mehr Frauen mindestens auf Partner-Level in Venture Capital (VC)-Unternehmen beschäftigt werden. Dazu sollen die VC-Unternehmen im Rahmen einer Selbstverpflichtung regelmäßig über ihre Unterstützung von Gründerinnen berichten, um so die Transparenz bei der Finanzierung zu erhöhen.
Zur konkreten Unterstützung der Gründerinnen bei Finanzierungsgesprächen sollen speziell auf diese Zielgruppe ausgerichtete Coachingmaßnahmen sowie Unterlagen und Leitfäden zum Umgang mit Kapitalgebern zur Verfügung gestellt werden.

Haben Sie Beispiele für erfolgreiche Initiativen oder Programme zur Unterstützung weiblicher Gründerinnen, die aus Ihren Handlungsempfehlungen hervorgegangen sind?
Die meisten Programme und Initiativen, und davon gibt es viele, richten sich an Gründungsinteressierte und Gründer*innen jeden Geschlechts. Es gibt jedoch einige Beispiele für konkrete Unterstützungsmaßnahmen, die speziell auf weibliche Gründerinnen zugeschnitten sind.
Zum Beispiel liegt der inhaltliche Schwerpunkt der Initiative der Bundesregierung „bundesweite gründerinnenagentur (bga)“ auf der Unterstützung technologieorientierter Gründungen durch Frauen. Als Ansprechpartnerin für Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und den Gründerinnen stellt die bga Kontakte her und vermittelt Informationen zu Expert*innen, Studien, Beratungseinrichtungen und Netzwerken. Städte und Regionen haben ein großes Interesse daran, ihre Wirtschaftskraft zu stärken – auch mit Hilfe von Gründungen. Hierzu gibt es in Dortmund und Mannheim, um beispielhaft zwei Städte herauszugreifen, spezielle Programme, um die Zahl der weiblichen Tech-Gründerinnen zu erhöhen. Eine weitere Initiative, die sich die Unterstützung von Frauen vor und während einer Gründung auf die Fahnen geschrieben hat, sind die „Female Founders“. Das Netzwerk für Gründerinnen und Frauen in Führungspositionen in der Tech-Branche bietet unter anderem Workshops und Mentoring-Programme an.
Technikfrauen im Hochschulbereich erhalten Unterstützung durch die Initiative „We Female Founders“. Gründungsinteressierten Frauen wird ein kostenloses Online-Programm angeboten, in dem sie von der ersten Idee über die eigentliche Gründung bis hin zum Wachstum des Startups beraten werden. Die Wissensvermittlung erfolgt über Workshops, Webinare und das Netzwerk mit fast 150 Mitgliedern. Im Bereich Finanzierung gibt es das Investorinnen-Netzwerk für Gründerinnen „encourageventures“, das Frauen in der Startup-Welt sichtbarer machen will. Auch Lobbyarbeit zur Unterstützung von weiblichen Gründungen ist wichtig: Diesbezüglich hat sich der Startup-Verband mit dem Bitkom e. V. zu der gemeinsamen Initiative „#Startupdiversity“ zusammengeschlossen, um Forderungen an Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu formulieren.

Was schlagen Sie konkret vor, um die Situation und Unterstützung für weibliche Gründerinnen in der Zukunft weiter zu verbessern?
Es gibt sehr viele Stellen, an denen im Gründungsökosystem konkrete Änderungen vorgenommen werden müssen, um Frauen die gleichen Chancen zu bieten wie Männern. Dies beginnt bereits in der Schul- und Ausbildungsphase. Schon in der Schule sollten die Grundlagen des Unternehmertums vermittelt werden. Der Einsatz von Gründer*innen als Role Models in Unterricht und Berufsberatung kann dabei mögliche Karrierewege aufzeigen.
In Hochschulen sollten die bestehenden Informations-, Einführungs- und Lehrangebote im Bereich Entrepreneurship um Angebote speziell für Studentinnen und Wissenschaftlerinnen erweitert werden. Dazu gehört auch, potenzielle Gründerinnen gezielt anzusprechen, sie zu unterstützen und auf ihre spezifischen Herausforderungen einzugehen.
Um die Vereinbarkeit von Familie und Gründung bzw. Beruf zu erreichen, müssen die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen angepasst werden. Steuerliche (Ehegattensplitting), sozialversicherungsrechtliche (Elternzeit, Mutterschutzgesetz) und infrastrukturelle (Kinderbetreuung) Rahmenbedingungen müssen von Politik und Gesellschaft an die Bedürfnisse von Gründerinnen angepasst werden. Außerdem sollten Gründerinnen mit Vorbildfunktion sichtbar(er) gemacht und Datenbanken mit Speakerinnen und Darstellungen von Startups, die von Frauen gegründet wurden, eingeführt werden.

Und schließlich: All diese Maßnahmen sollten evaluiert werden. Was funktioniert, was passt besonders gut und welche Maßnahme sollte modifiziert werden, um gründungswillige Frauen noch besser anzusprechen? Die Gründe für den geringen Anteil von weiblichen Gründungen sind vielfältig. Um sie genauer zu beleuchten und Lösungsansätze wissenschaftlich untermauern zu können, sind (weitere) Forschungsarbeiten und Evaluationen zur gesamten Thematik des Gründungsgeschehens notwendig. Dazu gehört nicht nur eine wissenschaftliche Begleitforschung der Programme und Initiativen, die zur Unterstützung von Gründerinnen angeboten werden, sondern auch die Formulierung konkreter - auch numerischer - Ziele für die Programme und Projekte.

#FrauWirktDigital wurde auf Initiative von #SheTransformsIT ins Leben gerufen, von der Stiftung Mercator im Bereich Digitalisierte Gesellschaft gefördert und vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. umgesetzt. Das Interview mit Dr.in Viola Riemann wurde vom Metavorhaben „Innovative Frauen im Fokus" (meta-IFiF) im Rahmen der Gründungswoche geführt.

Die Studie "Handlungsempfehlungen Gründung und Innovation" kann hier abgerufen werden.