Gesprochener Text des Interviews von Prof.'in Barbara Schwarze und Prof.'in Dr.'in Nicola Marsden zum Jahresbericht kompetenzz 2023

(Intro):

Herzlich Willkommen zu unserem Jahresrückblick. Wir begrüßen heute Prof.’in Barbara Schwarze, die Vorsitzende von Kompetenzz, sowie Prof.‘in Dr.‘in Nicola Marsden, die stellvertretende Vereinsvorsitzende. Gemeinsam werfen wir einen Blick auf das ereignisreiche Geschäftsjahr 2023 des Vereins.

Steigen wir direkt ein, Frau Schwarze, Frau Marsden, was war ihr Highlight aus dem Jahr 2023?

Barbara Schwarze: dass wir in so breiter Form, sage ich Mal, in diesen ganzen Feldern aktiv sein können und für mich speziell sind so die traditionellen Projekte einfach natürlich immer das Highlight wie Klischeefrei und der Girls Day & Boys Day. Ich kann einfach sagen, dass das, was wir an Wissen über Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit und ähnliche Themen inzwischen forschungsmäßig und literaturmäßig gesammelt haben in neue Projekte hineintragen können. Das ist wie der Bereich Sport und der Bereich Demografie. Das ist für mich das Highlight, dass wir die Chance haben, dieses Wissen eben auch in neue Projekte einzubringen.

Nicola Marsden: Ja, dem kann ich mich natürlich nur anschließen und ich denke, dieses Gesamtportfolio ist einfach etwas, was wächst und gedeiht und sehr beeindruckend ist. Ich fand für mich persönlich jetzt auch, dass bei dem Strategietreffen, was wir mit dem Vorstand hatten, noch mal klar wurde, welches Kompetenz-Netzwerk auch dahintersteckt. Die unterschiedlichen Perspektiven auf der einen Seite und das Riesenengagement auf der anderen Seite ist einfach beflügelnd. Sich zu treffen und die Dinge zu besprechen und Ideen zu entwickeln – das war für mich ein ganz, ganz großes Highlight tatsächlich. Das Kuratorium mit dem Impulsvortrag ist etwas, wo man wirklich noch mal inhaltlich auch Dinge besprechen kann und Personen da sind, die so engagiert sind für das Thema und wirklich was bewegen können und uns da in einer großartigen Art und Weise unterstützen. Das ist immer sehr schön, dass zu erleben.

Barbara Schwarze: Besonders spannend finde ich, dass wir uns mit dem Thema Innovation von und durch Frauen beschäftigt haben. Ich denke, es gibt zwar viele einzelne Aktivitäten in diesem Bereich, aber es ist selten in Form von Projekten umfassend aufgegriffen worden. In der Fächerkombination von innovativen Frauen, die vorgestellt werden, zeigt sich eine große Vielfalt mit unterschiedlichen innovativen Themen von Frauen, die vorangetrieben werden und gibt uns einen Einblick in die Entwicklungen in diesem Bereich. Das finde ich absolut spannend. Ich denke, das passt auch sehr gut zu uns und ich bin einfach nur dankbar, dass wir den Zuschlag für die beiden Projekte, das Metaprojekt und das Einzelprojekt, erhalten haben. Ganz hervorragend. Bei Vorträgen merke ich immer wieder, dass das Publikum ins Nachdenken kommt und sich überlegt, welche innovativen Frauen es in ihrem Umfeld gibt und wen man vielleicht einmal vorstellen könnte.

Nicola Marsden: Ein wichtiges Thema ist die Sichtbarkeit von Frauen. Wenn ich sehe, welche Handreichungen aus den Projekten entstehen, bin ich begeistert. Diese Ressourcen, die wir weitergeben können, sind äußerst wertvoll. Sie enthalten nicht nur Zahlen, sondern sind ansprechend aufbereitet, was sehr geschätzt wird. Der Output dieser Projekte verbreitet sich weit über unsere Erwartungen hinaus, da viele Leute diese Informationen gut gebrauchen können und sie eine echte Wirkung entfalten. In dem Zusammenhang ist ein weiteres Highlight die beeindruckende Produktivität und Kompetenz der Mitarbeitenden. Der Output ist nicht nur hervorragend und wirksam, sondern zeigt auch das Engagement und die Professionalität des Teams. Die Mitarbeitenden arbeiten kompetent, engagiert und agil, was eine enorme Leistung darstellt. Diese beeindruckende Leistung ist deutlich sichtbar und wirklich beeindruckend.

Und warum ist eine klischeefreie Berufswahl so wichtig? Was hat sich 2023 in den Kompetenzprojekten getan?

Barbara Schwarze:  Es ist spannend zu sehen, dass viele Unternehmen, wenn sie gefragt werden, was sie im Bereich MINT und für den weiblichen Nachwuchs tun, oft als erstes den Girls’ Day erwähnen. Obwohl sie in diesem Bereich oft noch viel mehr leisten, bleibt der Girls’ Day das prägende Ereignis. Dabei hat die Teilnahme an solchen Initiativen nicht nur positive Effekte für das eigene Unternehmen, sondern kann auch kulturelle Veränderungen bewirken, indem sie eine Zielgruppe ansprechen, die zuvor im Unternehmen kaum vertreten war.

Nicola Marsden: Das Thema Klischeefrei ist besonders wichtig, und ich beobachte, dass das Bewusstsein dafür immer stärker wächst. Es wird zunehmend erkannt, wie bedeutend das direkte Umfeld von Kindern und Jugendlichen ist – insbesondere der Einfluss der Eltern, Lehrkräfte und Gleichaltrigen. Für Mädchen ist es oft eine andere Welt, in der sie sich bewegen, und um echte Gleichberechtigung zu erreichen, müssen wir aktiv Veränderungen vornehmen, da ihr Umfeld anders auf sie reagiert. Das Bewusstsein für Klischees zeigt, dass wir auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene zugehen müssen, um ihnen zu ermöglichen, sich als Individuen zu zeigen. Das Kernproblem von Klischees ist, dass die individuelle Person nicht wahrgenommen wird, sondern als Stereotyp oder Klischee betrachtet wird. Menschen wollen als Individuen gesehen werden, und in Situationen, in denen Klischees vorherrschen, bleibt Frauen häufig verwehrt, als Person wahrgenommen zu werden und nicht nur als ‘die Frau’.

Barbara Schwarze: Und in gleicher Weise ist es wichtig, dass wir auch auf die ‘Boys’ schauen und beobachten, was in ihrem Umfeld passiert. Aus der Geschichte wissen wir, wie schwer es vielen jungen Männern fällt, sich für Berufe außerhalb der traditionellen Klischees zu entscheiden – sei es in der Mode, beim Kochen, in der Pflege oder in erzieherischen Berufen. Diese Bereiche sind für viele immer noch mit negativen Stereotypen behaftet. Es ist entscheidend, die spezifische Situation junger Männer in diesen Feldern zu betrachten, da sie anderen Herausforderungen gegenüberstehen als Frauen im MINT-Bereich. Die beiden Projekte bieten eine große Chance zu zeigen, wie solche Prozesse der Zuweisung von Eigenschaften, Fähigkeiten und Kompetenzen bei den jeweiligen Geschlechtern ablaufen. Es ist wichtig, Offenheit für alle Geschlechter zu zeigen und nicht sofort in stereotype Zuweisungen zu verfallen. Initiativen wie der Girls’ Day, der Boys’ Day und die Klischeefrei-Initiative tragen viel dazu bei, mehr Wissen über diese Prozesse zu gewinnen und das Verständnis zu fördern.

Frau Marsden, Sie beschäftigen sich auch mit dem Themenfeld künstliche Intelligenz, auch KI genannt. Welche Chancen und welche Gefahren birgt es?

Nicola Marsden: Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) hält unserer Gesellschaft einen Spiegel vor, indem es bestehende Probleme und Stereotype fortschreibt. Während KI ein nützliches Werkzeug sein kann, ist Vorsicht geboten, um unbeabsichtigte Stereotype nicht zu perpetuieren. Eine aktuelle Studie zeigt, dass viele Menschen ChatGPT, wenn wir jetzt bei den Large Language Models bleiben, nutzen, um Texte, Beurteilungen oder Empfehlungsschreiben zu generieren. Diese Texte generieren dazu, bestehende Stereotype zu verstärken, in dem Männer als starke Führungskräfte und Frauen als empathisch dargestellt werden. Hier ist große Wachsamkeit erforderlich. Trotz dieser Risiken bietet KI enorme Chancen. Sie kann Diskriminierung aufdecken und sichtbar machen, die sonst vielleicht unentdeckt bliebe. Beispielsweise gibt es im medizinischen Bereich viele geschlechtsspezifische Themen in den verfügbaren Daten.KI kann helfen, Verzerrungen zu identifizieren, die dazu führen, dass bestimmte Gruppen nicht die gesundheitliche Versorgung erhalten, die sie benötigen. Wichtig ist KI, nicht nur als technisches Thema zu betrachten, sondern als ein interdisziplinäres Feld, das die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen erdordert. Data Science, ursprünglich aus den empirischen Sozialwissenschaften, zeigt, dass es viel Wissen braucht, um mit Daten richtig umzugehen – Wissen, das oft nicht im Informatikstudium vermittelt wird. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit könnte dazu führen, dass die Unterscheidung zwischen technischen und nicht-technischen Bereichen aufweicht oder sogar aufgehoben wird. Dies bietet Chancen, Geschlechterstereotype in Berufen zu überwinden und das Bild von Geschlecht zu diversifizieren, parallel zur Veränderung unseres Verständnisses von Technik und den Anforderungen an den Erfolg in diesem Bereich.  

Frau Schwarze, Sie waren auch Projektleiterin von #FrauWirktDigital, welches im Oktober 2023 beendet wurde. Was ist ihr Fazit zum Projekt?

Barbara Schwarze: Ich glaube, dass das Projekt #FrauWirktDigital und seine starke Verbreitung, insbesondere in den sozialen Medien, deutlich gemacht haben, wie wichtig es ist, die Wirksamkeit von Projekten zu überprüfen. Es ist essenziell, genau zu untersuchen, wie viel diese Projekte tatsächlich bewirken, insbesondere in Bezug auf die Förderung der Digitalisierung für unterschiedliche Zielgruppen. Wichtig ist, zu prüfen, wie erfolgreich die Projekte in den Zielgruppen sind: Werden sie gut angenommen und erreichen sie diese Zielgruppen effektiv? Zudem stellt sich die Frage, ob die Projekte in der Lage sind, ihr Umfeld politisch oder auf kommunaler Ebene zu erreichen, um nachhaltig wirksam zu sein. Es ist entscheidend, dass Projekte nicht nur für die Dauer von zwei oder drei Jahren wirken, sondern langfristig Bedeutung und Einfluss behalten. Die Studien, die wir in diesem Bereich durchgeführt haben, unterstützen diese Sichtweise. Besonders einprägsam fand ich, dass das Thema Wirksamkeit nun viel stärker im Bewusstsein vieler Akteure im Bereich der digitalen Medien verankert ist. Das ist meiner Meinung nach einer der Erfolge des Projekts.

Und nun ein Ausblick. Worauf freuen Sie sich im Jahr 2024?

Nicola Marsden: Ich freue mich, weil ich glaube, dass wir in Bezug auf die sogenannten ‘Futureskills’ hervorragend aufgestellt sind. Wir sind gut vorbereitet auf die Herausforderungen, die uns erwarten, da es nicht mehr um die Technik oder Digitalisierung geht, sondern darum, alles in Zusammenhänge zu denken – die Interaktion von Gesellschaft und Digitalisierung sowie von gesellschaftlichen und technischen Kompetenzen. Die zentrale Frage ist, welche Kompetenzen wir benötigen, und ich bin überzeugt, dass wir hier sehr gut aufgestellt sind. Ich freue mich darauf, die Möglichkeit zu habe, diese Ansätze in verschiedenen Projekten noch breiter zu verankern und dadurch einen wirklichen Impact auf die Gesellschaft zu erzielen.

Barbara Schwarze: Ich bin begeistert, denn ich habe heute in die Verträge des Wissenschaftsministeriums in Niedersachsen mit den Hochschulen geschaut. Es freut mich sehr, dass diese Verträge explizit Lohnsteigerungen und steigende Energiekosten für die nächsten Jahre berücksichtigen. Dies zeigt, dass die Politik die Nöte nicht nur der Hochschulen, sondern auch vieler anderer Projekte im Blick hat. Es ist wichtig, dass Projekte die nötige Unterstützung erhalten, um erfolgreich zu sein, besonders angesichts der aktuellen Teuerungen. Diese Einsicht ist entscheidend für viele Projekte, die wir und andere durchführen. Es ist erfreulich zu sehen, dass die Politik die Bedarfe externer, finanzierter Projekte berücksichtigt. Ich hoffe, dass diese Einsicht sich weiterverbreitet, damit zukünftige Projekte solide finanziert werden können und die geplanten Ziele erreicht werden. Ein besonderes Lob geht an unsere Mitarbeitenden und die Geschäftsführung. Ohne ihre Unterstützung und das Engagement wäre der Erfolg unserer Projekte undenkbar. Unsere Netzwerke und der Vorstand leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag, indem sie helfen, Wissen zu verbreiten und Projekte zu unterstützen. Die Zusammenarbeit in diesen Netzwerken ist wechselseitig und äußerst wertvoll. Wir sind dankbar für die engagierten Menschen, die uns auf unserem Weg unterstützen.

Wir danken Professorin Barbara Schwarze und Professorin Nicola Marsden für das inspirierende Gespräch.

Das Interview führte Louisa Reinhardt, kompetenzz