Monoedukation und beruflicher Erfolg
Studie zu Berufswegen der Absolventinnen des Internationalen Frauenstudiengangs Informatik (IFI) an der Hochschule Bremen
Frauen studieren „unter sich“: ein wirksamer Ansatz gegen den „Digital Gender Gap“ oder ein veraltetes Modell?
„Monoedukation“ bezeichnet nach Geschlecht getrennte Bildungsangebote und weckt häufig (negative) Assoziationen mit einer Vergangenheit, in der dieses Modell vor allem dazu diente, Mädchen und junge Frauen zu perfekten Ehefrauen zu erziehen. „Koedukation“ ist der Standard seit der Schulreform Ende der 60er Jahre – ein wichtiger Schritt in Richtung gleicher Bildungschancen. Doch auch heute gibt es weiterhin einzelne monoedukative Angebote: Eins davon ist der Internationale Frauenstudiengang Informatik an der Hochschule Bremen (IFI). Dieser wurde 1999 ins Leben gerufen, um Frauen eine Alternative zu konventionellen Informatikstudiengängen zu bieten. Die Idee war, einen Raum zu schaffen, in dem Frauen das Fach jenseits von Geschlechterklischees und Minderheitenerfahrungen („Allein unter Männern“) entdecken können.
Dass mehr Frauen für (informations-)technische Berufsfelder gewonnen und dort gehalten werden, ist in Zeiten des Fachkräftemangels und einer rasanten technologischen Entwicklung höchst relevant. Es gibt einen deutlichen „Digital Gender Gap“: Der Frauenanteil unter den Beschäftigten in der Informatik und anderen IKT-Berufen lag in Deutschland im Jahr 2023 bei nur 18 Prozent. Eine EU-Studie von 2013 stellt fest: Im Alter von 30 Jahren arbeiten nur noch 20 Prozent der Frauen mit einem IKT-bezogenen Bachelorabschluss in diesem Bereich, im Alter ab 45 Jahren nur noch 9 Prozent. Warum sich so wenige Frauen für die Informatik entscheiden oder sie wieder verlassen – dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze.
Welche Rolle monoedukative Studiengänge spielen, wenn es darum geht, Frauen für die Informatik zu gewinnen und sie dort langfristig zu halten, ist bisher nicht systematisch untersucht worden. Inwiefern profitieren Absolventinnen von dieser speziellen Studienform? Fühlen sie sich gut auf die Arbeitswelt vorbereitet und finden sie einen guten Einstieg? Fühlen sie sich fachlich sicher und kommen sie in einem männerdominierten Umfeld gut zurecht?
Diese Studie leistet einen Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen. Sie wurde 2024 vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. im Auftrag des IFI-Studiengangs der Hochschule Bremen durchgeführt.
Die Ergebnisse der Studie im Überblick:
Die Ergebnisse der Studie im Detail:
1. Für die befragten Absolventinnen ist das monoedukative Studium eine geschützte und förderliche Lernumgebung. Es schafft – gemeinsam mit weiteren Faktoren wie der Größe des Studiengangs – einen sicheren Raum, in dem Fragen und Unsicherheiten gehört werden und die Studieninhalte ohne Vorurteile erlernt werden können.
2. Dem IFI gelingt es sehr gut, dass Frauen sich in ihrer Rolle als Informatikerin sicher und kompetent fühlen – besser als anderen Informatikstudiengängen.
3. Das Gesamtkonzept des Internationalen Studiengangs Informatik an der Hochschule Bremen überzeugt und spricht Studentinnen mit und ohne Vorerfahrungen in der Informatik an. Für viele Absolventinnen spielte es auch eine wichtige Rolle für die Entscheidung für diesen Studiengang, dass er monoedukativ angelegt ist.
4. Viele der Befragten haben das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, dass sie „nur“ einen Frauenstudiengang absolviert haben. Sie haben mit dem gesellschaftlichen Vorurteil zu kämpfen, diese „weibliche“ Version der Informatikausbildung sei weniger wert.
5. IFI-Absolventinnen behaupten sich erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt. Ihnen gelingt im Vergleich zu anderen Informatikabsolventinnen ein leichterer Einstieg bei Unternehmen und sie bleiben überdurchschnittlich oft auch nach mehrjähriger Berufstätigkeit in der IT-Branche beschäftigt – in Positionen, die ihrer fachlichen Qualifikation entsprechen. Und obwohl sie im Berufsleben mit stereotypen Vorstellungen konfrontiert werden, sind die meisten IFI-Absolventinnen sehr zufrieden mit ihrem Job.
Das schließen wir aus den Ergebnissen der Studie:
Monoedukation hilft - aber es kommt auf das Gesamtkonzept des Bildungsangebotes an
Das „Studieren unter Frauen“ erleichtert den Zugang zur Informatik und schafft einen geschützten Raum, der Selbstvertrauen in die Rolle als Informatikerin fördert. Aber wichtig ist: Auch der Standort, die Größe des Studiengangs, die Qualität der Inhalte und der Betreuung, die Ausrichtung am Arbeitsmarkt und die internationalen Elemente spielen eine wichtige Rolle. Wenn all das stimmt, können monoedukative Studiengänge wie der hier untersuchte einen positiven und nachhaltigen Beitrag zur Gewinnung von Frauen für die Informatik leisten, indem sie Studentinnen angemessen qualifizieren und ihnen ein belastbares professionelles Selbstverständnis vermitteln. Damit tragen sie ebenfalls dazu bei, dass Frauen nachhaltiger an die Informatik gebunden werden und die digitale Welt langfristig mitgestalten.
Nachteile? Ja – aber die kommen „von außen“
Die Schattenseite von Monoedukation liegt meistens nicht an den Angeboten selbst, sondern an den Klischees, mit denen Absolventinnen konfrontiert werden. Doch die Studienergebnisse legen nahe, dass Frauen in diesem „geschützten Raum“ eine höhere Resilienz entwickeln und sich gezielt Arbeitgeber suchen, die Diversität leben und sie als kompetente Mitarbeiterinnen wertschätzen.
Solange die Geschlechterstereotype die Informatik stark prägen, hat Monoedukation ihre Berechtigung
Es ist unsere gesellschaftliche Aufgabe, Informatik für alle gleichermaßen zugänglich zu gestalten. Wir schließen aus unserer Studie zum Internationalen Frauenstudiengang an der Hochschule Bremen, dass es Angebote wie dieses noch braucht. Erst wenn Informatik nicht mehr mit Männlichkeit assoziiert wird und die stereotypen Vorstellungen von beruflichen Eignungen von Frauen und Männern überwunden sind, können wir zufrieden darauf verzichten.
Ansprechpersonen
Gerne können Sie sich bei Fragen an uns wenden. Wir freuen uns auch über Anfragen für Vorträge, Publikationen oder Panels.
Studiensteckbrief: Methoden und Vorgehensweise
Das Studiendesign umfasst vier Module:
- Digitale Gruppendiskussion am 30. August 2023 mit ausgewählten IFI-Absolventinnen (10 Teilnehmerinnen, die ihr Studium zwischen 2005 und 2022 abgeschlossen haben)
- Standardisierte Onlinebefragung (27. Oktober bis 18. Dezember 2023) von 199 IFI-Absolventinnen, die im Zeitraum 2000 bis 2017 ihr Studium aufgenommen haben. Stichprobe: erfolgreiche Kontaktrecherche und Kontaktaufnahme zu 105 Absolventinnen. Anzahl erfolgreicher Interviews: 64
- Sekundäranalyse von Ergebnisdaten der DZHW-Absolventinnenbefragung der Jahrgänge 2009 und 2013
- Interviews mit Unternehmensvertreter*innen aus der Region Bremen mit einem hohen Anteil an IFI-Absolventinnen unter ihren Beschäftigten
Alle Studienergebnisse im Detail
(PDFs, barrierefrei, max. 750 kB)
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